Diesen Vortrag hielt Roland Baader zwar schon am 25. Mai 1994 anlässlich der „Schweizerzeit“-Generalversammlung in Zürich. Sein Inhalt ist jedoch nach wie vor von hoher Aktualität:
Kürzlich schrieb mir der Vorsitzende eines großen Freiberuflerverbandes: „Wir sind hier bei der Definition des Wortes «Freiheit» während einer Vorstandssitzung in Ratlosigkeit versunken und mussten feststellen, dass jeder etwas anderes darunter verstand.“ Ich bin sicher, dass es einem jeden von uns in einer vergleichbaren Situation ähnlich ergehen würde. Die Frage nach Wesen und Inhalt des Freiheitsbegriffes scheint recht einfacher Natur zu sein, und doch ist ihre Beantwortung – wenn überhaupt abschließend möglich – unendlich kompliziert.
Freiheit
Trotz dieser Schwierigkeit bleibt es schwer begreiflich, warum die Bürger der sogenannt „freiheitlichen Demokratien des Westens“ so wenig oder so Ungenaues oder gar Falsches vom begrifflichen Fundament ihrer eigenen Existenz und von dem ihrer Nation wissen. Noch erstaunlicher ist, dass viele Bürger, vielleicht sogar die meisten, eine präzisere wissenschaftliche Annäherung an den Freiheitsbegriff wenig zu interessieren scheint – eine gefährliche und verhängnisvolle Nachlässigkeit; denn bereits eine unscharfe Vorstellung vom Inhalt des Wortes Freiheit führt – das werde ich zu zeigen versuchen – unweigerlich zu ihrem Verlust.
Dass ein falscher Freiheitsbegriff bedrohlich für ein Staatswesen ist, war bereits vor zweitausend Jahren bekannt. Schon Aristoteles schrieb in seinen Schriften zur Politik: „In den Demokratien …, und zwar in denen, die als Demokratien schärfster Ausprägung gelten, herrscht ein Zustand, der das gerade Gegenteil von dem ist, was ihnen nützlich wäre. Der Grund dafür liegt in ihrem ganz verkehrten Freiheitsbegriff“ (Aristoteles 1977, S. 330).
Es bleibt uns also nicht erspart: Wenn es uns ernst ist mit unserer Freiheit, dann müssen wir uns ihr mit analytischem Blick nähern. Wer ihre Physiognomie nicht genau kennt, wird sie nicht finden, und wer – so er sie denn zufällig besitzt – mit ihrem Wesen nicht innig vertraut ist, wird sie alsbald wieder verlieren.
Es ist ein eigenartiges Phänomen: Alle, oder doch nahezu alle Menschen wollen frei sein und in Freiheit leben. Und dennoch ist die Geschichte der Menschheit eine Geschichte der Tyrannei, der Unterdrückung und Ausbeutung, der Sklaverei und der Knechtschaft. Schon Rousseau hatte sich darüber gewundert, denn der erste Satz seines „Contrat Social“ lautet: „Der Mensch ist frei geboren, und überall liegt er in Ketten.“ Leider war der erste Teil dieses Satzes falsch (und so haben denn auch die Rousseau’schen Gedanken der Freiheit viel mehr geschadet als genützt). Viel trefflicher ist hier die Formulierung des großen Staatsdenkers der Gegenwart Anthony de Jasay, wenn er schreibt: „Der Mensch (wird) mit dem Wunsch nach minimaler Staatsgewalt geboren, (schafft) aber überall und jederzeit die maximale Staatsgewalt…“ (Jasay 1991, S. 78).
Es muss also etwas geben, was die Menschen bei ihrem Streben nach Freiheit immer wieder irreleitet und täuscht, oder überrumpelt und verführt. Und jenes „etwas“ scheint mir der Umstand zu sein, dass die Unfreiheit selten oder nie mit offenem Visier antritt, sondern meist in freiheitlicher Maskerade: Im verführerischen Tarngewand einer angeblich „besseren“, „schöneren“, „vollkommeneren“ und „umfassenderen“ Freiheit – sozusagen in Gestalt einer „Überfreiheit“ (Ludwig von Mises).
Es ist also alles andere als eine akademische Spielerei im Elfenbeinturm der Wissenschaft, wenn man sich der Mühe unterzieht, den Freiheits-Terminus (oder seine Pluralformen) akribisch zu analysieren und ihn definitorisch so zu präzisieren, dass er von seinen verkleideten Feinden und Verderbern unterscheidbar wird.
Die, wie ich meine, schönste und tiefste Umschreibung des Freiheitsbegriffes ist zweieinhalbtausend Jahre alt. Sie stammt von dem großen Staatsmann und Heerführer des antiken Athen, von Perikles: „Sei dir bewusst“, mahnte er, „dass das Geheimnis des Glückes die Freiheit, das Geheimnis der Freiheit aber der Mut ist.“ Ein Satz von ungeheuerlicher Wucht und Weisheit, den man sich nicht tief genug in Herz und Verstand einprägen kann.
Doch uns Heutigen genügt das nicht; wir wollen es genauer wissen, was es mit den verschlungenen Wegen zur Freiheit auf sich hat – und auch mit den meist weniger mühsamen Wegen, die von ihr weg oder hin zu ihren Trugbildern führen.
Abgrenzung
Man könnte nun in einer groß angelegten historischen Rundschau die Geschichte des Freiheitsbegriffes und seines Wandels darstellen, beginnend – auf das Abendland begrenzt – mit jenem der griechischen Antike (und dort wiederum unterteilt in vielfältige Unterscheidungen, etwa nach stoischer, athenischer und spartanischer Auffassung); fortfahrend dann mit der christlichen Interpretation, geteilt in die des Alten und jene des Neuen Testaments. Alsdann müsste man zur großartigen Totalschau eines Thomas von Aquin schreiten, bis hin zur Renaissance. Und schließlich zu den säkularisierten Freiheitsauffassungen des 17. und 18. Jahrhunderts, weit gefächert und festgemacht an Figuren wie Descartes, Rousseau, Thomas Hobbes, David Hume, Immanuel Kant, Hegel, ja sogar Marx, wenn man das frühe 19. Jahrhundert miteinbezieht.
Alles das soll hier weitgehend ausgeklammert bleiben. Wir wollen uns konzentrieren auf das moderne Freiheitsverständnis des klassischen Liberalismus und der individualistischen rechts-, staats- und wirtschaftstheoretischen Tradition der letzten zwei Jahrhunderte – und zwar in ihren aktuellsten Ausprägungen, für welche Namen der großen Freiheitsdenker wie Friedrich August von Hayek, Anthony de Jasay, Gerard Radnitzky, Hardy Bouillon, Gerd Habermann, Robert Nef und Detmar Doering Pate stehen (um nur einige wenige kontinentaleuropäische zu nennen).
Solche Abgrenzung soll keine wertende Ausgrenzung sein, sondern lediglich Beschränkung, damit wir uns auf die Wechselbeziehungen zwischen dem modernen Freiheitsverständnis und der bevorzugten Regierungsform der Neuzeit, der Parlamentarischen Demokratie, konzentrieren können.
Ich bestreite nicht, dass die „libertas transcendentalis“ oder jene „participatio infiniti“ des Aquiners, also die Teilhabe des Menschen am Unendlichen, die eigentliche, die wirkliche und vielleicht einzig elementare Freiheit des Menschen sein kann. Doch das ist – im Lichte der hier maßgeblichen Realität – Spekulation. Wir wollen uns also auf die Freiheitsdefinitionen jener Reiche beschränken, die aktuell und von dieser Welt sind.
Freiheitsdefinitionen
Aus vielen trefflichen Freiheitsdefinitionen möchte ich hier nur drei herausgreifen:
- die des wohl bedeutendsten Sozialphilosophen und Nationalökonomen unseres Jahrhunderts, Friedrich A. von Hayek, die in Kurzfassung lautet: Freiheit ist die Abwesenheit von willkürlichem Zwang (wobei man das Wörtchen „willkürlich“ unterstreichen sollte).
- die des großen österreichischen Ökonomen Erich Streissler, der schreibt: Freiheit ist die Nichtbehinderung möglicher menschlicher Wahlhandlungen. (Hier ist eine Anmerkung angebracht: Die sogenannte „Ökonomische Theorie der Politik“ oder „Public Choice-Analyse“ verwenden die englischen Begriffe „options“ und „option rights“. Diese darf man im Deutschen nicht mit „Wahl“ oder „Wahlrechten“ übersetzen, weil es sich hierbei nicht um Vorgänge der politischen Stimmabgabe handelt, sondern um die Auswahlmöglichkeiten des Individuums zwischen verschiedenen Handlungsalternativen, also um die Freiheit der Entscheidung des Einzelnen für verschiedene Ziele und um die Möglichkeit zur freien Auswahl der Mittel und Wege zu diesen Zielen.)
Eine ähnliche aber etwas weiter ausholende Freiheitsdefinition halte ich für die beste und präziseste. Und das ist
- die des Trierer Wissenschaftstheoretikers und großen Ordnungsliberalen Gerard Radnitzky, welche lautet: „Freiheit bedeutet im Kern private Rechte: private Souveränität zur eigenen, persönlichen Entscheidung über maßgebliche Bereiche des ökonomischen und gesellschaftlichen Lebens; selber das anstreben zu können, was das Individuum subjektiv als «Glück» oder als erstrebenswert erachtet. Freiheit bedeutet individuelles Eigentum in Form von Rechten, Rechten auf die eigene Person, die eigene Zeit und die Erträge der eigenen Arbeit. …Somit besteht die Idee der Freiheit oder der Autonomie einer reifen Person aus den Auswahl- beziehungsweise Entscheidungsrechten (option rights), die der Einzelne hat“ (Radnitzky 1993, S. 23f.).
Es sollte überflüssig sein zu erwähnen, dass diese privaten Rechte (oder Eigentumsrechte, wenn man den Begriff „property rights“ ein wenig weiter fasst), da sie ja für alle und jeden gelten, implizit den beiden Prinzipien des Klassischen Liberalismus unterliegen, nämlich
- dem „no harm“-Postulat (niemandem Schaden zufügen) und
- dem Gewaltabwendungs-Prinzip (keinen Zwang anwenden, der nicht erforderlich ist, um die gleiche Freiheit aller anderen sicherzustellen).
Falsche Freiheitsbegriffe
Wir sollten auch erkennen, dass die genannten Definitionen nichts mit all dem zu tun haben, was heute mit dem Etikett „Freiheit“ durch die Köpfe zieht, von den Lippen sprudelt und über die Bildschirme flimmert:
Freiheit ist eben nicht gleichzusetzen mit „materieller Freiheit“, nicht mit der „Freiheit von Armut, Not und Risiko“, und nicht mit der Befreiung von den Zwängen tradierter menschlicher Institutionen und Handlungsregeln, also nicht mit „Emanzipation“. Im Gegenteil: Alles das sind Zerr- und Gegenbilder der Freiheit, Perversionen und Zerstörer des wahren Freiheitsbegriffs:
Die sogenannte „materielle Freiheit“ ist ein hochstaplerisches Etikett für die Binsenweisheit, dass mehr Geld in aller Regel mehr Wahlmöglichkeiten zwischen verschiedenen Gütern und Leistungen eröffnet. Doch mit der eigentlichen Substanz des Phänomens Freiheit hat das herzlich wenig zu tun. Ein reicher Mann kann sehr wohl von seiner Familie unterdrückt oder von seinem Kollektiv (sprich: Staat) in unerträglicher Weise gefesselt werden; und ein mittelloser Vagabund kann sich durchaus unbeschwert und frei wie der Vogel in der Luft fühlen.
Schon gar nicht haben die Begleitkumpane der sogenannt „materiellen Freiheit“, jenes „Recht auf Wohnung“, „Recht auf Arbeit“, „Recht auf billigen oder kostenlosen Gesundheitsschutz“ etc. etwas mit den liberalen Eigentumsrechten zu tun. Denn während die property rights gerade einen Schutzwall um das individuelle und rechtmäßig erworbene Eigentum bauen sollen, sind jene „Recht auf etwas“-Floskeln das genaue Gegenteil: Sie sind materielle Ansprüche an den Staat oder das Kollektiv, und als solche notwendigerweise verbunden mit der Aufforderung zur Enteignung bestimmter Personengruppen zum Zweck der Übertragung der geraubten Mittel (oder Verfügungsrechte) auf andere.
Wir sollten den Terminus „materielle Freiheit“ aus der Diskussion verbannen und ihn den Fernseh-Talkshows überlassen, wo es auf ein wenig mehr oder weniger Unsinn nicht mehr ankommt.
Mindestens gleich große Verwirrung stiftet der Begriff der sogenannten „inneren Freiheit“, meist noch dekoriert mit einem Fragezeichen hinter dem Wort „Willensfreiheit“. Auch hiervon sollte man den politischen und sozioökonomischen Diskurs freihalten. Wenn es die Freiheit des Willens nicht geben würde, dann müssten wir jegliches Nachdenken über Freiheit, Recht, Demokratie, Individuum und Staat als sinnlose Scheinbeschäftigung einstellen. Und was die „innere Freiheit“ angeht, so bestreitet niemand, dass es sie gibt; aber man überlasse ihre Erörterung den Theologen, den Psychologen und Philosophen des Metiers Metaphysik. Der Politik und der Metaphysik gleichermaßen kann wenig Schlimmeres passieren als ihre wechselseitige Kombination. Gott bewahre uns vor einer metaphysischen Politik ebenso wie vor einer politischen Metaphysik.
Der wohl schlimmste Feind der Freiheit, der sich mit ihrem Namen schmückt und ihre Anziehungskraft zur Tarnung benutzt, ist die sogenannte „Emanzipation“, die angebliche Befreiung des Menschen von den Zwängen der tradierten Werte und gewachsenen gesellschaftlichen Normen. Doch was als Fackel der Freiheit daherkommt, ist nur ein Irrlicht, das der Menschheit den Weg in die Knechtschaft weist:
Freiheit ist – jenseits der Metaphysik, also auf dem Boden strenger Wissenschaftlichkeit – weder teleologisch noch eschatologisch noch utilitaristisch begründbar. Die finale „Emanzipation“ oder „Selbstverwirklichung“ der Menschen und der Menschheit ist ebenso eine Schimäre wie das Bentham’sche „größte Glück der größten Zahl“. Aus dem Aberglauben an die Determiniertheit oder auch nur Machbarkeit der endgültigen Emanzipation des Menschengeschlechts haben sich das Weltenelend der Marx’schen Theorie und deren Folgen ebenso konsequent hergeleitet wie die Genozide Stalins, Hitlers, Maos und Pol Pots. Und mit dem „größten Glück der größten Zahl“ lässt sich mühelos jede Art der totalitären Zwangsbeglückung rechtfertigen, bis hin zur Vernichtung des Globus im Namen einer besseren Welt.
Das biblische Wort von der Erbsünde scheint mir deshalb weit mehr als eine religiöse Metapher zu sein. Schauen wir uns doch die traurige Geschichte der persönlichen Freiheitsvorstellung (methodologisch gesprochen: des Individualismus) einmal an: Zwar gab es Ansätze von dem, was wir heute Individualismus nennen, in der griechischen Antike und – sehr deutlich – auch im Christentum des Neuen Testaments. Aber das Individuum, die Betonung der Einzigartigkeit der Einzelpersönlichkeit, war im großen und ganzen eine Entdeckung der Neuzeit, etwa ab der Renaissance und der Zeit des Humanismus. Der Rationalismus des 17. und vor allem des 18. Jahrhunderts hat dann noch gründlichere Ausgrabungsarbeit verrichtet.
Doch kaum tritt der Mensch – um es mit Immanuel Kant auszudrücken – aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit heraus, da übertreibt er auch schon und schüttet, harmlos gesprochen, das Kind mit dem Bade aus. Statt der bedächtigen Verbesserung der gesellschaftlichen Zustände und statt vermehrter Freiheit für das neu- oder wiederentdeckte Individuum, wollen die Vordenker der neuen Gottheit namens „Gesellschaft“ und ihre gläubigen Gefolgsmassen nun die totale, die radikale und paradiesische Freiheit des Kollektivs, das säkularisierte Ende des irdischen Jammertals.
Mit unerbittlicher Konsequenz waren denn auch die Revolutionen des 18., 19. und 20. Jahrhunderts – besonders die Französische von 1789 und die Russische von 1917 – nur die wohl unvermeidlichen Endmoränen der geistesgeschichtlichen Eiszeit des Hyperrationalismus.
Für die frühen Bildhauer einer wohlverstandenen ratio, für einen Sokrates, Aristoteles oder auch Thomas von Aquin, wären – hätten sie sie beobachten können – diese Revolutionen nur lächerliche Narrenpossen gewesen; freilich mit unendlich tragischen Begleiterscheinungen: mit Hekatomben von Hingemordeten, von Gefolterten, Geschändeten und Verelendeten.
Die modernen Spätformen jener Totalisierung und abgrundtiefen Verfälschung des Freiheitsbegriffes können wir heute in den vielschichtigen Facetten der Emanzipation betrachten: in der Emanzipation heraus aus allen gewachsenen Institutionen, Werten und Traditionen, aus Ehe und Familie, aus Religion und jeglicher Autorität, und schließlich aus allem und jedem – inklusive aus der eigenen Person (siehe das Phänomen des sogenannten „coming out“).
Mit dieser Totalisierung des Freiheitsverständnisses geht konsequent einher, dass der Kern der individuellen Freiheit im Gesellschaftsgefüge, nämlich die Gleichheit aller Menschen vor dem Recht (welche dem christlichen Urbild der Gleichheit vor Gott entsprach) ebenfalls zum totalen Gleichheitspostulat verkommt, nämlich zur Forderung nach Gleichheit der materiellen, sozialen und kulturellen Lebenschancen aller Menschen. Ein Vorgang, der in seiner Hybris, Tragweite und Tragik nur noch mit dem biblischen Sündenfall verglichen werden kann.
Wir sollten die Wirkung dieser Verwechslung von „Freiheit“ mit der utopischen „Befreiung von Ungleichheit“ nicht unterschätzen: In den vergangenen Jahrzehnten mussten Millionen von Menschen Tod und Vertreibung in kommunistischen und sozialistischen – also in sogenannt „befreiten“ – Ländern erleiden, ohne dass sich das angeblich so wachsame Gewissen der Linken in unserem Teil der Welt geregt hätte. Warum auch. Wer diese Art der „Befreiung“ als notwendigen Weg zum Ziel der endgültigen Menschheits-Freiheit ansieht, wer also den Freiheitsbegriff im Sinne einer irdischen Eschatologie und einer radikalen Emanzipation totalisiert, der kann gar nicht im Namen der Freiheit gegen solchen Wahnwitz protestieren.
Recht und Gesetz
Bevor wir zu einer weiteren gezinkten Karte im ersten Spiel um die Freiheit kommen, nämlich zur sogenannten „politischen Freiheit“ – und damit auch zum Thema „Demokratie“, sollten wir noch einen Blick auf die Definitionsbestandteile der Freiheit werfen, die wir mit „privaten Rechten und Eigentums-Rechten“ umschrieben haben, also auf die Begriffe „Recht“ und „Eigentum“. Auch hier wird der Aus- und Rückblick ähnlich finster ausfallen wie beim Freiheitsbegriff selbst.
Recht und Gesetz stehen nur so lange als Schutzwall zwischen Herrschenden und Beherrschten, als sie eine quasi-religiöse Anerkennung finden. Das Gesetz soll das Individuum vor Willkür schützen und ihm seine Rechte garantieren.
Die Gesetze und das Recht können und werden sich natürlich (allmählich) ändern, aber nur wenn man glaubt, dass sie einer göttlichen oder natürlichen Ordnung entspringen, wird man ihren Bestand respektieren. Sobald eine Mehrheit annimmt, Recht und Gesetz seien das Produkt menschlicher Vernunft und menschlichen Willens, stehen sie dem Für und Wider der verschiedenen Meinungen und Interessen zur Disposition. Hat man einmal akzeptiert, dass die Gesetze das Produkt von Nützlichkeitserwägungen seien, so erhebt sich nicht mehr die Frage, ob man sie beliebig ändern dürfe, sondern nur noch, wer sie ändern und nach seinem Gutdünken abfassen darf. Und das ist in der Demokratie „das Volk“, sprich: Die jeweilige Mehrheit oder ihre Repräsentanten. Recht und Gesetz werden auf diese Weise zum Gegenstand des politischen und des Parteien-Kampfes. Das Gesetz steht nun nicht mehr über allen, sondern ist zur Beute aller geworden, genauer: Zur Beute der wechselnden Mehrheiten oder der jeweils lautstärksten Minderheiten.
Sinngemäß stammen diese Formulierungen immerhin von einem Philosophen, der eher als Sozialist denn als Liberaler einzuordnen ist, nämlich von Bertrand de Jouvenel. Mit geradezu poetischer Sprachkunst belehrt er uns: „Oberhalb der Staatsgewalt hatte es das Recht gegeben, das sich, wie Cicero sagt, allen Völkern zu allen Zeiten aufgezwungen hat, und das weder dem Willen des Senats noch dem des Volkes unterworfen ist. … Dieses souveräne Recht machen die Revolutionäre vom Himmel los, um es der Staatsgewalt als Spielzeug zu überlassen.“ (Jouvenel 1969, S. 345) Wobei Jouvenel, das sei hier angemerkt, unter „Revolutionären“ auch die Repräsentanten der sogenannten „Volkssouveränität“ versteht.
Man sollte an dieser Stelle darauf hinweisen, dass sich nicht nur im Deutschen, sondern auch in anderen Sprachen zwei gänzlich unterschiedliche Tatbestände unter dem gleichen Begriffspaar, nämlich „Recht und Gesetz“ angesiedelt haben: Zum einen jene allgemeinen Regeln des Privatrechts, die dem Schutz und der Durchsetzung freiwillig geschlossener Verträge dienen sollen. (Hier handelt es sich also um ein Recht, bei dem niemand verliert.) Und zum anderen die Anordnungen der Staatsmacht und der Verwaltungsbürokratie, bei denen es stets Gewinner und Verlierer geben muss. Während ersteres Recht überwiegend auf die Beziehungen der Untertanen untereinander Anwendung findet, bezieht sich letzteres auf die Beziehungen zwischen Staat und Bürgern. Wobei es sich hierbei sowohl um unmittelbare Zwangsleistungen der Untertanen an den Staat handeln kann als auch um mittelbare Leistungen des einen Untertanen (oder von Gruppen derselben) an einen oder mehrere andere über den Staat – also um die sogenannte „Umverteilung“ oder um die Bereitstellung von Kollektivgütern, bei denen ja bekanntlich die Finanzierungs- und die Nutzungs-Personenkreise selten oder nie identisch sind.
Es ist offensichtlich, dass der zweite Rechtsbegriff der weitaus problematischere ist (wenn die Bezeichnung „Recht“ hier überhaupt zulässig ist und man nicht besser von „formalisierter Zwangsgewalt“ oder von „Befehl“ sprechen sollte – also von widerrechtlicher Willkür, die zum Zwecke der besseren Akzeptanz in die Tarnform von Rechtsregeln gegossen wurde). Es mögen in einem Staatswesen zwar gewisse organisatorische Zwangsregulierungen vonnöten sein, aber man sollte sie nicht „Recht“ und „Gesetz“ nennen. Genausowenig wie ein General oder ein Unternehmer seine Anordnungen „Recht“ und „Gesetz“ nennen darf.
Der so eingeleitete positivistische Zerfallsprozess des Rechts ist – auch nach dem Zusammenbruch der Unrechtssysteme des Ostens und auch in den sogenannten „demokratischen Rechtsstaaten“ des Westens – noch in vollem Gange. Wer noch nicht gemerkt hat, dass sich die angeblich freiheitlichen Demokratien des Westens gegenüber Rechtsbrüchen (besonders gegenüber solchen des Eigentumsrechts) auf dem marxistischen Weg der „Befreiung vom Recht“ befinden, der hat auch noch nicht begriffen, welche quasi-religiöse Zerstörungskraft der sozialistischen Terminologie von der „Volkssouveränität“ und von der „Volksherrschaft“ innewohnt. Und der braucht sich auch nicht darüber zu wundern, dass der sogenannte „Rechtsstaat“ keine rechtliche Handhabe findet, um die Verbrechen der Politgangster an Freiheit und Menschenrechten im vormaligen Ostgefängnis Deutschlands zu ahnden. Der Rechtsstaat neuerer Prägung unterscheidet sich – infolge des Zerfalls und der unaufhaltsamen Deformation unseres Verständnisses von Recht und Gesetz – nicht mehr prinzipiell, sondern nur noch graduell von den Sklavenstaaten der ehemaligen Gulags im Osten.
Eigentumsrechte
Leider verbietet es die knappe Vortragszeit, ausführlicher auf das für die Freiheit so unendlich wichtige Phänomen des Eigentums einzugehen. Deshalb hier nur ein kurzes Streiflicht:
Der Nationalökonom Gordon Tullock hat vor rund zwanzig Jahren in einem Gedankenexperiment die Auswirkungen der Abwesenheit von Eigentumsrechten untersucht: Man stelle sich eine anarchische Gesellschaft ohne jeden hoheitlichen Schutz von Eigentumsrechten vor. In einer solchen Gesellschaft verschwinden alle Anreize zur Arbeit, da ein jeder erwarten kann, dass ihm die Früchte seiner Arbeit ohnehin geraubt werden. Jeder versucht, alles, was er braucht, andern wegzunehmen. Eine solche Gesellschaft versinkt in Armut. Und sie bleibt arm.
Mit gleicher, nur abgeschwächter Wirkung treten solche Effekte auch in Gesellschaften mit schwachem Eigentumsschutz auf; also in Sozialstaaten, deren Eigentums- und Verfügungsrechte zum Zweck der Umverteilung aufgeweicht werden.
Man muss sich jedoch darüber im klaren sein, dass Raub und Ausbeutung, Enteignung und Erpressung überall die Normalform der Herrschaft sind (vgl. Weede 1990), denn Staat und Regierung sind immer janusköpfig: Einerseits braucht jede größere Gemeinschaft eine Herrschaftsorganisation zum Schutz vor Anarchie; andererseits kann dieser Herrschaftsapparat seine Gewalt jederzeit zur Ausbeutung der Beherrschten anwenden.
Demokratie, sollte man meinen, ist eine Regierungsform, bei der diese Gefahr gering ist. Tatsächlich jedoch besteht – wie wir noch sehen werden – eine Tendenz zur umgekehrten Entwicklung. Die „sanfte“ Form der Ausbeutung ist in den Demokratien unter dem edel erscheinenden Banner der sogenannten „sozialen Gerechtigkeit“ systemimmanent und nahezu grenzenlos. Die historischen Beispiele von Grenzsteuersätzen um und über hundert Prozent in Schweden und Großbritannien sind deshalb weniger exotische Ausnahmen als vielmehr symptomatische Erscheinungen demokratischer Herrschaft.
Der Nationalökonom Erich Weede hat das so ausgedrückt: „Grob gesagt ersetzt die Demokratie die Kleptokratie durch den Verteilungskampf … mit allgemeiner Beteiligung.“ (Weede 1990, S. 202)
Es möge sich – wie Friedrich A. von Hayek sein Leben lang betont hat – niemand der Illusion hingeben, „soziale Gerechtigkeit“ habe auch nur das geringste mit Gerechtigkeit zu tun. Auch in der Demokratie handelt es sich hierbei um eine Verteilung nach Machtstrukturen und nicht nach Gerechtigkeitsaspekten. (siehe Albert 1978)
Ich nenne das Glaubensbekenntnis der sogenannten „rechtsstaatlichen Demokratie“, die sakrosankte „soziale Gerechtigkeit“, gerne die geistige Atombombe der Neuzeit. Denn die spirituelle Vernichtungskraft dieser verführerischen Leerformel auf Geist und Moral, auf Recht und Freiheit, ist mindestens so groß wie die physische Vernichtungskraft der nuklearen Bombe. Der Unterschied besteht lediglich darin, dass das geistige Modell längst gezündet ist und sein Zerstörungswerk schon weitgehend vollbracht hat. Auf keinen Fall braucht sie sich hinter ihrer militärischen Schwester zu verstecken, was ihre verheerenden Verwüstungen anbetrifft, denn mit den Verlusten an Menschenleben und materiellen Werten – besonders in den großen Revolutionen des 20. Jahrhunderts: der russischen, der chinesischen und der südostasiatischen – stehen mehr Debetposten auf ihrem Konto als bei allen Weltkriegen zusammengenommen. Und auch ihr Vernichtungspotential bezüglich der ökonomischen Effizienz der Nachkriegsökonomien Europas bewegt sich jenseits der Vorstellungskraft des Durchschnittsbürgers.
Demokratie und Freiheit
Es ist nun schon einige Male das Wort „Demokratie“ gefallen. Wir bewegen uns also in Richtung des zweiten Teils meines Themas: Zur Frage, was Demokratie mit Freiheit zu tun hat und wie die Demokratie die Freiheit und damit auch sich selbst zerstören kann.
Wie wir gesehen haben, besteht der wahre Kern der persönlichen Freiheit (und eine andere gibt es nicht!) aus den privaten Options- und Eigentumsrechten. Weil nun diese privaten Optionsrechte eines jeden einzelnen Menschen definitionsgemäß allen anderen die Verpflichtung auferlegen, nicht in die von den Privatrechten geschützte Handlungssphäre einzudringen, und weil jeder Mensch – mit Ausnahme von Robinson Crusoe – in einem sozialen Beziehungsgeflecht mit allen anderen Menschen lebt, haben jene „private rights“ oder „property rights“, hat also „Freiheit“ immer und notwendigerweise eine gesellschaftliche Dimension. Professor Radnitzky erweitert deshalb konsequent seine oben genannte Freiheitsdefinition, indem er schreibt: „Freiheit ist ein Charakteristikum des gesellschaftlichen Lebens (eines jeden Einzelnen), oder genauer gesagt: Ein Charakteristikum einer Gesellschaft.“
Wir haben bereits in der Schule gelernt, dass nur eine demokratische Gesellschaft eine freie Gesellschaft sein kann. Das ist in gewissem Sinne richtig, aber genau daher rührt die derzeit vielleicht schlimmste aller Verwechslungen hinsichtlich des Freiheitsbegriffes: Die Gleichsetzung von Freiheit (als „persönlicher Freiheit“) mit der sogenannten „politischen Freiheit“, sprich: mit der Demokratie.
Demokratie ist aber weder ein Wert an sich, noch ist sie mit Freiheit gleichzusetzen. Sie ist nur ein Mittel, das wir einsetzen können, um die persönliche Freiheit zu sichern und zu bewahren. Sie kann aber genausogut dazu benutzt werden, die Freiheit zu zerstören. „Diese Art der Mitentscheidung alle x Jahre“, schreibt Gerard Radnitzky 1993, „hat wenig mit Freiheit zu tun. … Der existenzielle Unterschied liegt in der Unterscheidung zwischen beschränkter und unbeschränkter Regierung. Im Vergleich hierzu ist die Unterscheidung zwischen gewählter und nicht-gewählter Regierung von geringer Bedeutung.“ Und er führt als aktuelle Beispiele den außergewöhnlich hohen Freiheitsgrad im autoritär regierten Hong Kong und die stark eingeschränkte Optionsfreiheit des Einzelnen in der Muster-Demokratie Schweden an.
Da bei autoritären Regimes jedoch stets die Gefahr der Entgleisung und Brutalisierung besteht, gehören persönliche Freiheit und politische Freiheit in Form der Demokratie dennoch zusammen. Man kann es vielleicht so ausdrücken: „Persönliche Freiheit“ stellt die Frage: Welche privaten Bereiche sollen wie weit und gegen was geschützt werden? – Und „politische Freiheit“ dreht sich um die Frage: Durch welche Form der Herrschaftsorganisation kann dieser Schutz am besten gewährleistet werden – und durch welche Art der Mitwirkung der zu Schützenden kann diese Organisation vor dem Missbrauch ihrer Schutzaufgaben bewahrt werden?
„Politische Freiheit“, ausgedrückt durch die Kurzformel „Demokratie“, hat also nur eine instrumentelle oder Mittel-Funktion für die Sicherung der persönlichen Freiheit.
Prinzipiell bleibt die Demokratie aber schon deshalb allen anderen Herrschaftsformen vorzuziehen, weil sie – wie Erich Weede das einmal formuliert hat – Herrschaft immer nur auf Zeit überträgt und damit indirekt auch das Ausmaß der Herrschaft begrenzt (Weede 1990, S. 109).
Überhaupt ist an dieser Stelle zur Vermeidung von Missverständnissen eine Bemerkung angebracht:
Ich habe bisher zu zeigen versucht, dass die vorherrschenden falschen Auffassungen von Freiheit, Recht und Gerechtigkeit dazu tendieren, das wohlverstandene Recht und die richtig definierte Freiheit zu zerstören. Es soll nun wenigstens ansatzweise noch gezeigt werden, dass die Demokratie, so wie sie heute verstanden und gehandhabt wird, dieses Zerstörungswerk fördert, ja geradezu automatisiert und unvermeidlich macht. Das bedeutet jedoch nicht, dass die Kritiker dieser Art der Demokratie (inklusive mir selber) auch Gegner der Demokratie wären. Das Gegenteil ist der Fall. Friedrich A. von Hayek hat in einem berühmten Aufsatz einmal deutlich gemacht, was ihn und alle anderen freiheitlich gesinnten Demokratie-Kritiker bewegt: Nämlich die Tatsache, dass nicht die Demokratie das Problem darstellt, sondern die unbeschränkte Demokratie. Und er warnte: „Wenn die Einrichtungen dieser unbeschränkten Demokratie einmal versagen, (dann muss dies) nicht bedeuten, dass die Demokratie versagt hat, sondern nur, dass wir sie in falscher Weise versucht haben.“ (Hayek 1977, S. 8)
Die totale Politisierung des Lebens
Die Public Choice-Analyse der Nationalökonomie und die sogenannte „ökonomische Analyse der Politik“ haben mit wissenschaftlicher Akribie nachgewiesen, dass die demokratische Methode der ungewichteten Mehrheitsentscheidung mit logischer Konsequenz und mit geradezu mathematischer Schlüssigkeit zu dem Zustand führt, den wir heute in allen fortgeschrittenen Volkswirtschaften der demokratischen Industrieländer beklagen, nämlich:
- zu einem uferlos wachsenden Anteil der Kollektivgüter zu Lasten des Anteils der am Markt erzeugten und über den Markt bereitgestellten, also der privaten Güter;
- zu einem insgesamt unaufhörlich wachsenden Staatsanteil am gesamten Volkseinkommen und am Sozialprodukt;
- zu einer ebenso uferlos wachsenden Steuer- und Abgabenquote (inklusive einer astronomischen Staatsverschuldung, die man auch als „Harakiri-Steuer der Zukunft“ bezeichnen könnte); sowie
- zu einer zunehmenden Handlungsunfähigkeit und Korrumpierung der Politik.
Die Staatsquote, also das Verhältnis der Staatsausgaben zum Bruttosozialprodukt, stellt einen groben Maßstab dar für das Ausmaß, in welchem die privaten Entscheidungen der Menschen in öffentliche Hände und zu politischen Kollektiven abgewandert sind. Da wir in Deutschland derzeit an der fünfzig Prozent-Linie kratzen, kann man sagen, dass rund die Hälfte der Lebenswelt der Bürger der privaten Souveränität entzogen ist und hoheitlich zwangsverwaltet, dirigiert, reglementiert und politisch dominiert wird.
Alles, was wir derzeit an sogenannter „Staats- und Parteien-Verdrossenheit“, an „Unregierbarkeit“ und „Problemlösungs-Unfähigkeit“ – und wie die Schlagworte alle heißen – erleben, ist in Wirklichkeit nur das Spiegelbild und die unvermeidliche Konsequenz dieses Wucherprozesses. Die eigentliche und tiefere Ursache des Missbehagens der Bürger ist eben nicht die fragwürdige Qualität der Politiker (denn die würde sich auch nicht ändern, wenn wir sie alle komplett austauschen könnten), sondern die über den geschilderten Prozess eingetretene und weiter zunehmende totale Politisierung des Lebens der Bürger.
Wenn immer mehr private Entscheidungsvorgänge (also die oben genannten Optionsrechte des Freiheitsbegriffs) der eigenen, privaten Wahl des Einzelnen entzogen und dem Prozess kollektiver Entscheidungen (also dem problematischen Abstimmungsverfahren der Politik) unterworfen werden, dann werden die Probleme zwingend massenhaft und zunehmend unlösbar. Und das wenige, was schließlich überhaupt noch auf dem politischen Weg gelöst werden kann, muss zwangsläufig auf den Widerstand und die Ablehnung all jener stoßen, die in eigener privater Entscheidungshoheit anders entschieden hätten.
Die Public Choice-Analyse der Demokratie
Leider ist die Terminologie der Public Choice-Analyse noch zu wenig in der Öffentlichkeit bekannt und der hier zur Verfügung stehende Raum zu knapp, um die genannten Vorgänge in ihrer Ablaufsystematik darstellen zu können. Ich muss mich deshalb auf ein kurzes Beispiel und anschließend auf die Beschreibung eines einzigen Aspekts der erwähnten Analyse-Ergebnisse beschränken: Auf den sogenannten „herrschaftssystematischen“ Selbstzerstörungsmechanismus der unbeschränkten Demokratie.
Zunächst das Beispiel:
Wer sein Kind zur Schule schickt, nimmt das unentgeltliche Kollektivgut „Schulbildung“ in Anspruch. Das gesamte Schul- und Hochschulwesen eines Landes kostet den Staat – also die Bürger als Steuerzahler – horrende Summen. Trotzdem würden die Eltern eines ins schulpflichtige Alter kommenden Kinder es weit von sich weisen und als unsinnig bezeichnen, wenn man ihnen vorwerfen würde, dass sie die Allgemeinheit belasten. Zurecht würden sie darauf hinweisen, dass die Teilnahme ihres Kindes am Unterricht den Staat keinen einzigen Franken mehr kostet – beziehungsweise dass die Allgemeinheit keinen Rappen sparen würde, wenn besagte Eltern ihr Kind zuhause ließen. Die Schulen sind vorhanden, die Lehrer sind angestellt und besoldet, ja sogar die Beheizung des Klassenzimmers wäre dieselbe, ob ihr Kind nun in der Klasse sitzt oder nicht. Die Eltern sind also der Ansicht, dass ihr Kind keine oder nur verschwindend geringe zusätzliche Kosten verursacht. Und damit haben sie sogar recht. Doch müssen wir uns klarmachen, dass alle Eltern so denken und dass alle Eltern aus ihrer Sicht recht haben, obwohl gleichzeitig die Gesamtkosten des Bildungssystems astronomisch sind.
Der Nationalökonom drückt diesen Umstand so aus: Die Grenzkosten der Bereitstellung und der Inanspruchnahme von öffentlichen oder sogenannten Kollektiv-Gütern sind subjektiv (und meist sogar auch objektiv) gleich Null, unabhängig davon, wie hoch die Gesamtkosten des Kollektivguts sind.
Weil nun jedoch nicht nur alle Bürger dieser Meinung sind – auch dann, ja gerade dann, wenn sie vernünftig oder rational denken –, sondern auch die politischen Entscheidungsträger, gilt die Erkenntnis: Die Politiker verhalten sich ebenso rational, wenn sie immer mehr und mehr Kollektivgüter zu niedrigen Preisen oder unentgeltlich anbieten, um für sich und ihre Partei Stimmen zu gewinnen. Ein politischer Akteur oder eine Partei vergrößert die Chance ihrer Wiederwahl, wenn sie für politische Entscheidungen eintreten, mit denen sie Wählergruppen für sich einnehmen können, ohne den Verlust anderer Stimmen befürchten zu müssen. Sie verhalten sich also vernünftig oder rational, wenn sie bestimmten Bevölkerungsgruppierungen eine Besserstellung versprechen, weil sie einerseits damit Stimmen gewinnen und weil andererseits die Kosten dieser Maßnahme auf die Allgemeinheit überwälzt werden können, ohne dass die anteiligen Kosten beim Einzelnen spürbar ins Gewicht fallen.
Es ist offensichtlich, dass ein solcher Prozess uferlos, selbstausbeuterisch und selbstzerstörerisch für ein Gemeinwesen ist.
Herrschaft und Umverteilung
Nun zur herrschaftssystematischen Sicht des besagten Mechanismus:
Die Demokratie hat als Herrschaftsform ein schwerwiegendes Legitimationsdefizit: Sie ist weder von Gottes Gnaden noch vom tradierten Respekt vor der Weisheit der Ältesten getragen, weder vom Adel des blauen Blutes noch vom Schrecken der brachialen Gewalt des Schwertes. Ihre Legitimitätsbasis ist im großen und ganzen die Zustimmung der Beherrschten zur Herrschaft – und diese Zustimmung ist naturgemäß flüchtig.
Umso brüchiger muss ein derart schwaches Fundament dann werden, wenn das Volk früher oder später entdeckt, dass die sogenannte „Volkssouveränität“ eine Fiktion ist, ja eine Illusion sein muss, weil jede Form von Herrschaft eine Herrschaft über das Volk darstellt (und deshalb auch die Demokratie nicht eine Herrschaft durch das Volk, sondern ebenfalls über das Volk). Es spielt hierbei ja letztlich keine Rolle, ob die Zwangsgewalt von einem Alleinherrscher, von einer Feudalclique, einer Autokraten-Oligarchie oder von einer Mehrheit bzw. von deren Repräsentanten ausgeübt wird.
Um ihr schwaches Legitimitätsfundament zu erhalten und zu stärken, also um die Zustimmung der Beherrschten zu bewahren, muss sich die Demokratie folglich etwas einfallen lassen. Und dieser „Einfall“ ist der gleiche, der überall auftaucht, wo sich größere Menschengruppen auf etwas einigen oder einer gemeinsamen Vorgehensweise zustimmen sollen: Nämlich das Versprechen von Sondervorteilen und die Gewährung von Geschenken für die Mitspieler, sprich: Bestechung, sowie das Androhen von Sanktionen und Nachteilen für die Spielverweigerer, sprich: Erpressung.
Kurz: Die Strategie der Umverteilung ist in der Demokratie herrschaftsmorphologisch oder herrschaftssystematisch angelegt.
Das ist schon schlimm genug, verstößt doch die Umverteilung gleich gegen alle drei Prinzipien, deren Garant die Demokratie sein will, nämlich:
- gegen das Prinzip der Gewaltabwendung. Man hat ja der Zentralmacht das Gewaltmonopol übertragen, damit sie darüber wachen kann, dass niemand gegenüber irgend jemandem ungerechtfertigt Gewalt anwenden kann. Umverteilung, also jemandem gegen seinen Willen unter Androhung oder Anwendung von Zwangsgewalt etwas wegzunehmen, um es einem oder mehreren anderen (aus welchen Gründen auch immer) geben zu können, ist aber nicht Gewaltabwendung, sondern Gewaltanwendung.
- verstößt die Umverteilung gegen das Prinzip der Gleichbehandlung, also gegen den Grundsatz der Gleichheit vor dem Gesetz; denn dem einen etwas zwangsweise wegnehmen und dem anderen das Entwendete geben, ist das Gegenteil von Gleichbehandlung.
- bedeutet Umverteilung eine grobe Verletzung des Gerechtigkeitsprinzips, mit dem die Demokratie sich bekanntlich besonders gern schmückt; denn der Kern dessen, was wir unter gerechtem Verhalten und unter Gerechtigkeit verstehen, ist ja genau das Gefühl jedes Einzelnen, es werde ihm nicht ungerechtfertigt und ohne seine Einwilligung etwas von seinem Eigentum genommen – und es werde ihm auch nichts ohne Gegenleistung gegeben, was er nicht verdient und was man einem anderen zuvor weggenommen hat.
Wir sehen: Das herrschaftssystematische oder systemimmanente Wesen der Demokratie, das sie zur Wahrung ihrer schieren Existenz benötigt, widerspricht gleichzeitig allen hehren Prinzipien, unter deren Fahnen sie angetreten ist und die als Quellen ihres Ansehens gelten.
Die Kleptokratie und ihre Hehler
Doch es kommt noch schlimmer: Macht und Herrschaft haben den fatalen Drang, sich uferlos auszudehnen und ins Maßlose zu wachsen. Was sie an schrankenloser Ausdehnung hindern kann, sind einzig und allein Gegenmächte, sogenannte „countervailing powers“, also andere mehr oder weniger starke Kräfte, die sich um ihres eigenen Machterhalts willen zur Wehr setzen. Zu diesen Gegenmächten gehören auch vorläufig noch kraftlose und schwache Gebilde, schlafende Abwehrpotentiale, die sich jedoch unter dem Ansturm von Macht und Gewalt allmählich aufrichten und stark werden können. Eine Gegenmacht gegen schrankenlose Zwangsgewalt kann also auch die Furcht der Mächtigen vor dem Erwachen von Widerstand gegen Übertreibungen der Herrschaftsausübung sein. (Welche gigantischen Kosten ein Regime sich und seinen Untertanen aufbürden kann, um die besagte Furcht zu bekämpfen, konnten wir am Spitzel- und Mauersystem des „volksdemokratischen Paradieses“ im Osten beobachten.)
Und genau an diesem Punkt findet die Demokratie ihre schärfsten Kritiker. Deren Überlegungen lassen sich etwa wie folgt zusammenfassen:
Was die alten Herrschaftsgebilde, die „ancien régimes“ und ihre Feudalkasten von maßloser Übertreibung ihrer Machtausübung zurückhielt, waren nicht nur die bestehenden Gegenmächte in Form des Adels, des Klerus und der Aristokratie (und meist auch die Konkurrenz einer Nachbarmacht), sondern auch die drohende Gefahr eines sich formierenden gewaltsamen Widerstands der Unterdrückten. Die Gefahr von Aufständen, Umstürzen, Verschwörungen, Revolutionen, Königs- und Tyrannenmord.
Nicht so bei der Demokratie. Bei ihr sind die Mechanismen der Herrschaftsausdehnung und ‑begrenzung mit umgekehrten Vorzeichen versehen: Weil die Legitimationsbasis ihrer Herrschaftsausübung letztlich – wie wir gesehen haben – die zustimmungssichernde Bestechung ist, kann und wird sie ihre Herrschaft um so mehr ausdehnen, je mehr Bestechungsobjekte sie in den Reihen der Beherrschten findet –, und das heißt auch: je mehr sie ihre räuberische, ausbeuterische und enteignende Zwangsgewalt (sprich: Umverteilung) ausweitet und verstärkt.
Anders gesagt: Mit zunehmender Herrschaftsanmaßung demokratischer Regierungsapparate und mit wachsender Entrechtlichung der Beherrschten (vermittels Zwangseingriffen in deren Eigentum und individuelle Lebensgestaltung) werden die machtbegrenzenden Widerstandspotentiale der Untertanen nicht stärker, sondern – wegen der gleichzeitig anschwellenden Zahl der Bestochenen und wegen der wachsenden Bestechungssummen und Bestechungstatbestände – schwächer. Spiegelbildlich wird das Legitimitätsplateau der Zwangsgewalt nicht kleiner, sondern immer größer. Eine teuflische Spirale aus einer sich selbst verstärkenden Herrschaft auf der einen und einer sich selbst entmündigenden Knechtschaft auf der anderen Seite.
Nicht ohne Grund bezeichnet Hans-Hermann Hoppe (Professor für Wirtschaftswissenschaften an der Universität von Nevada und einer der vehementesten Kritiker der demokratischen Herrschaftsform in ihrer derzeitigen Gestalt) die Demokratie als eine Organisationsverfassung, in welcher der Kreis derjenigen Personen systematisch erweiterbar ist, die sich „mit … (dem Staat) zum Zweck krimineller Eigentumsdelikte gegen Privatrechtssubjekte verschwören dürfen“, weil der demokratische Staat sie zu „Hehlern seiner unrechtmäßigen, auf Kosten bestimmter Personen gehenden Aneignungen von Eigentumstiteln machen kann, indem er sie an seiner Beute beteiligt“ (Hoppe 1987, S. 161).
Und an anderer Stelle schreibt er sinngemäß: Demokratie hat nichts mit Freiheit, Selbstbestimmung, Gerechtigkeit oder ähnlichem zu tun, sondern beruht, wie jede Herrschaft, auf einer a-symmetrischen Verteilung von Rechten; und Demokratisierung bedeutet, juristisch gesehen, die Entrechtlichung bzw. Politisierung des Privatrechts (vgl. S. 182 ff.).
Der Kreis schließt sich
Hier schließt sich also der Kreis mit den eingangs diskutierten (richtigen oder falschen) Freiheits- und Rechtsbegriffen: Wir treffen auf Staatsseite die verbogene Rechtsauffassung wieder, indem wir sehen, dass es sich bei der demokratischen Mehrheitsregel eben nicht um eine universalisierbare Regel des Privatrechtsverkehrs handelt, sondern um eine Herrschafts-Regularie, mit deren Hilfe der Kern der Freiheit, die Privat- und Eigentumsrechte (private rights and property rights) in nahezu beliebigem Ausmaß verletzt werden können. Und auf der Seite der demokratischen Untertanen treffen wir den alten Antagonismus der Freiheit wieder: Das übersteigerte Sicherheitsbedürfnis, welches den freien Bürger der Bestechlichkeit zugänglich und somit zum mehr oder weniger selbstgewählten Herrschaftsopfer macht, zum Beherrschten und Beherrschbaren. Es ist eben verhängnisvoll, wenn man die originäre und enge Aufgabe des Rechtsstaates, nämlich die Sicherung des Gewaltabwendungsprinzips und den damit einhergehenden Schutz der allgemeinen Regeln des Privatrechtsverkehrs, mit einem neuen und illegitimen Rechtsbegriff belegt, der das eigentliche Recht, die universalisierbaren Regeln des Privatrechts, verdrängen und schließlich sogar dominieren darf.
Überlegen wir noch einmal: Wenn das Gewaltabwendungsprinzip (als einzig legitime Aufgabe des staatlichen Gewaltmonopols) gewährleistet ist, dann gibt es im Privatrechtsverkehr der Bürger keine Opfer und keine Verlierer. Die ökonomische Analyse lehrt uns, dass es im friedlichen Handelstausch nur Gewinner geben kann, weil Tausch – juristisch ausgedrückt „Privatrechtsverkehr“ – immer freiwillig ist; und wenn es beim Markttausch Verlierer gäbe, dann käme der Tausch – weil beiderseits freiwillig – nicht zustande (es sei denn in den seltenen Fällen, bei denen ein masochistischer Teilnehmer auftritt).
Sobald jedoch der Staat ein Gut anbietet (welcher Art auch immer), liegt diesem Geschäft ausnahmslos rechtswidrige Aggression zugrunde. Der Staat als Anbieter von Gütern und Diensten ist – wie Hoppe es ausdrückt – stets „gewalttätiger Umverteiler“, weil er seine „wohltätigen“ Gaben nur anbieten kann, wenn er zuvor eine unrechtmäßige Eigentumsaneignung vorgenommen hat. Und sogar dann, wenn er die anzubietenden Güter rechtmäßig am Markt kauft, muss er die Mittel hierzu dem Steuerzahler durch hoheitliche Zwangsgewalt entwenden. Die Handlungsmaximen eines Verkehrs jedoch, bei dem es ausnahmslos nur Opfer bzw. Verlierer auf der einen Seite und unrechtmäßige Begünstigte auf der anderen Seite geben kann, mit dem Terminus „Recht“ zu belegen, bedeutet einen Missbrauch dieses in Jahrtausenden gewachsenen Symbolausdrucks für Gerechtigkeit. Es gibt eben – wie der brillante Freiheitsdenker Detmar Doering sagt – kein Recht, auf Kosten anderer zu leben (Doering 1993).
Rule of law statt Interventionismus
Man versteht vor dem geschilderten Hintergrund vielleicht besser, was die klassisch-liberalen Philosophen und Staatsmänner des 18. Und 19. Jahrhunderts (vor allem im angelsächsischen Bereich) unter der „rule of law“, der Herrschaft unter dem Gesetz verstanden haben. Es ging ihnen vorrangig nicht darum, den jeweiligen Souverän oder die jeweilige Regierung vermittels des Gesetzes herrschen zu lassen (und schon gar nicht vermittels Gesetzen, deren Inhalt die Regierung mehr oder weniger selbst festlegen konnte), sondern es ging ihnen vor allem darum, das Gesetz als obersten Herrscher zu bewahren – und die Repräsentanten des Staates nur unter dem Gesetz regieren zu lassen, das heißt, die Regierung selber der ewig gültigen gewachsenen Vorstellung der Menschen von Recht und Gerechtigkeit zu unterwerfen. Und darüber, dass diese kostbare Errungenschaft der neuen bürgerlichen Freiheit nicht allzuoft und nie allzuschwer verletzt wurde, wachten in der englischen Wiege der Demokratie die besten Köpfe des Landes in der Institution des Oberhauses. Jedenfalls einige Menschenalter lang, bis auch sie sich den neuen, verfälschten Rechts- und Gesetzesbegriffen der unbeschränkten Demokratie beugen mussten. Worauf die totalitäre Version des politischen Freiheitsbegriffes seinen Siegeszug über die ganze Welt antreten konnte.
Man sollte bei dieser Gelegenheit daran erinnern, dass damit die Demokratie als ein Synonym-Ausdruck für „Bürgerliche Freiheit“ nicht nur begriffsinhaltlich und rechtssystematisch ihren eigenen Niedergang eingeleitet hat, sondern dass damit – auf längere Sicht – auch ein zweiter Selbstzerstörungsprozess in Gang gesetzt wurde: Die Zersetzung der Zwillingssäule der „Kapitalistischen Demokratie“: also des Kapitalismus (oder – für diejenigen, denen das Wort nicht gefällt: der Marktwirtschaft).
Die mit dem Instrumentarium der neuen, pervertierten Begriffe von Recht und Gesetz eingeleitete staatliche Zugriffsmöglichkeit auf Eigentum und Lebensgestaltung der Bürger setzte das in Gang, was man mit einem Wort als „Interventionismus“ umschreiben kann. Also jene lawinen- und kaskadenartigen Eingriffsspiralen der staatlichen Verordnungs- und Verwaltungsinstanzen, welche die Preissignale des Marktes und seine Angebots- und Nachfragestrukturen in zunehmendem Maße verzerren, private Güter immer mehr durch steuer- und schuldenfinanzierte Kollektivgüter ersetzen, den evolutorischen Wandel der produktiven Ressourcenkombinationen verhindern, die Anreizmotivationen der Marktteilnehmer lähmen und fehllenken, um schließlich – wenn auch erst nach längerer Zeit – in wirtschaftlichen Niedergang, Depression, totale Geldwertvernichtung und Staatsbankrott zu münden. Womit dann letztlich auch die Demokratie, die ja zwingend auf das Fundament ökonomischer Freiheit und materieller Sicherheit der Menschen angewiesen ist, ihr Leben aushaucht. Ihre Erben sind dann jene Demagogen, die meist als sogenannte „Retter aus höchster Not“ am politischen Horizont auftauchen. Der nächste aus dieser Schlangenbrut, vermute ich, wird wohl ein grünes Gewand tragen und uns im Namen des ökologischen Weltuntergangs versklaven.
Die Aufgaben des liberalen Staates
Man kann das alles auch kürzer ausdrücken: Die Menschen sollten endlich begreifen, dass die Aufgabe einer von ihnen gewählten Regierung nicht darin besteht, Freiheit, Wohlstand, Glück und Gerechtigkeit herzustellen. Deren Aufgabe besteht vielmehr einzig und allein darin, die innere und äußere Sicherheit einer Gesellschaft zu garantieren. Wobei unter „innerer Sicherheit“ die Wahrung eines marktwirtschaftlich-wettbewerblichen und eines privatrechtsstaatlichen Ordnungsrahmens zu verstehen ist sowie die Garantie eines uneingeschränkten Eigentumsschutzes, einschließlich des Eigentums an der eigenen Person und an den Früchten der eigenen Arbeit.
Wäre das gegeben, dann wäre Freiheit die unmittelbare Folge; und Wohlstand und Gerechtigkeit würden sich ganz von selbst einstellen und könnten dauerhaft bewahrt werden, jedenfalls soweit als das in unserem irdischen Jammertal überhaupt möglich sein kann.
Negativ formuliert kann man sagen: Der Kampf um die Freiheit und um die Demokratie als einer angestrebten Nicht-Zwangsherrschaft ist in dem Augenblick verloren, in dem die Mehrheit (oder wer auch immer) die Eigentumsrechte der Bürger antasten darf.
Am Exempel des ehemaligen Ostblocks konnten wir lernen, dass das System der politischen Aneignung der gesamten Volkswirtschaft früher oder später zusammenbricht. Wir sollten endlich begreifen, dass auch die politische Aneignung eines Teilmarktes oder von Teilen der privaten Eigentumsrechte niemals dauerhaft funktionieren kann. Die meisten Aufgaben, die sich inzwischen in Staatshand befinden, müssen deshalb dorthin zurückgegeben werden, wohin sie gehören: In die Hände des mündigen Bürgers. Geschieht dies nicht, so werden wir erleben, wie die gegenwärtigen Staatskrisen in einen regelrechten Zusammenbruch des Staates und der Staaten einmünden werden.
Demokratie, um es zu wiederholen, ist kein Wert an sich, sondern ein Mittel. Sie kann – je nach dem Gebrauch, den man von ihr macht – zu größerer Freiheit ebenso führen wie zu größerer Knechtschaft. Es ist die große Illusion der Demokratie, zu glauben, man brauche die Inhaber der Staatsgewalt nur auszuwechseln, Könige und Kaiser nur gegen Volksrepräsentanten auszutauschen, monolithische Machtcliquen nur gegen pluralistische Parteien, um Leviathan zu zähmen. In Wirklichkeit ist die Freiheit jedoch in jeder Staats- und Regierungsform bedroht, und die Menschen können die einzig maßgebliche Gestalt der Freiheit, nämlich ihre persönliche Freiheit nur bewahren, wenn sie die Staatsgewalt wirksam beschränken – ganz gleich, welchen Namen sie trägt. Diese Aufgabe können sie jedoch nur dann dauerhaft bewältigen, wenn sie selber in genügend großer Zahl den Freiheitswillen als höchste menschliche Tugend und die Freiheit als obersten irdischen Wert in ihrem Herzen tragen – unnachgiebig und kompromisslos, wachsam und entschlossen, furchtlos und mit brennender Leidenschaft.