Hans F. Sennholz – Der große Ökonom verstarb am 13. Juni 2007 im Alter von 85 Jahren
Als wir vor elf Jahren im Rahmen eines General Meetings der Mont Pélerin Society in Wien beisammen saßen, stand seine Emeritierung vom Präsidentenamt der Foundation for Economic Education (F.E.E.) unmittelbar bevor. Deshalb fragte ich den damals 74-jährigen Professor Sennholz, mit was er sich denn danach beschäftigen wolle. Seine Antwort: „Ich werde schreiben, solange der Herrgott mir Zeit lässt und bis mir der Bleistift aus der Hand fällt.“ Genau das hat er getan, unermüdlich und beständig. Noch elf Jahre hat ihm der Herrgott Zeit gelassen. Und bis zum letzten Atemzug hat er geschrieben: Professor Hans F. Sennholz, der am 13. Juni im Alter von 85 Jahren gestorben ist. In den letzten Jahren war ihm noch die Nutzung des Internets zugutegekommen. Seine Website wies mehr als 12 Millionen internationale Aufrufe aus, wodurch sich sein Werk auf der ganzen Erde verbreitete.
Hans Sennholz war einer der wenigen ganz Großen der Österreichischen Schule der Nationalökonomie, eines wirtschaftswissenschaftlichen und methodologischen Theoriegebäudes, dessen Ursprung im Wien des 19. und frühen 20. Jahrhunderts auf so illustre Namen wie Carl Menger und Eugen von Böhm-Bawerk zurückgeht. Sennholz war – nach Ludwig von Mises und Friedrich August von Hayek – eine jener tragenden Säulen, auf denen die schmale Brücke zwischen der Österreichischen Schule der Vorkriegszeit auf dem alten Kontinent und der hauptsächlich US-amerikanischen Austrian School der Nachkriegszeit ruhte.
Geboren wurde Hans F. Sennholz am 3. Februar 1922 im westfälischen Örtchen Brambauer. Als Jugendlicher erlebte er die Große Depression der 30er Jahre und den Aufstieg des Nationalsozialismus. Sein junges Leben war überschattet vom Tod der Mutter bei einem Bombenangriff der Alliierten, vom Tod des Vaters bei einem Minenunfall und von der Nichtrückkehr seines einzigen Bruders vom Russlandfeldzug. Er selber, der schon mit 13 Jahren seinen Pilotenschein als Segelflieger gemacht hatte, wurde im zarten Alter von 17 Jahren zur deutschen Luftwaffe eingezogen. Nach Kriegsausbruch flog er zahlreiche Einsätze als Jagdflieger in Frankreich, Russland und Nordafrika. Im Herbst 1942 wurde er über El Alamein von neuseeländischer Artillerie abgeschossen und in Gefangenschaft geführt. Man brachte ihn nach Südafrika, dann nach Neuseeland und schließlich in die USA, wo er die restliche Zeit des Krieges in Kriegsgefangenen-Lagern verbrachte. Dort konnte er die Unterstützung von einigen Verwandten genießen, die während der 20er Jahre in die USA ausgewandert waren. Die finanziellen Hilfen erlaubten es ihm, an der University of Texas in Austin Korrespondenz zu studieren.
Nach der Entlassung aus der Gefangenschaft 1946 setzte Sennholz sein Studium in Deutschland fort. Zunächst an der Universität Marburg (Diplom-Volkswirt 1948), danach an der Universität Köln (Dr. rer.pol. 1949). Trotz langer Kriegs- und Gefangenschaftsjahre war Hans Sennholz bei seiner Promotion noch keine 30 Jahre alt. Nach einer kurzen Tätigkeit als Anwalt in Köln kehrte er in die USA zurück und setzte sein Studium an der New York University fort, wo er 1955 seinen zweiten Doktorgrad in Ökonomie erwarb.
Die Geschichte dieser Promotion hat es in sich. Man kann sie im Stefan Zweigschen Sinne als eine Sternstunde der Austrian Economics bezeichnen. An der New York University war Sennholz nämlich auf den geistigen Giganten und Begründer der Österreichischen Schule in den USA, Ludwig von Mises, getroffen, der dort lehrte. Sennholz war der erste Student und einer von nur vier Ökonomen, die ihren Doktorgrad bei Ludwig von Mises erwarben. (Die drei anderen waren George Reisman, Israel Kirzner und Louis Spadaro.) Der Einfluss von Mises auf Sennholz war enorm. Aber auch Mises schätzte sich glücklich, diesen Schüler zu haben. Bis er Sennholz begegnete, war Ludwig von Mises nämlich ein einsamer Rufer in der Wüste. Damit die Österreichische Schule im keynesianischen und sozialkleptokratischen Umfeld der ökonomischen Nachkriegswissenschaft überleben konnte, brauchte sie – wie Lew Rockwell es in seinem Nachruf auf Sennholz betont hat – vor allem eines: nämlich echte Ökonomen. Die einzig würdige Nachfolgerin der Klassischen Nationalökonomie brauchte, so Rockwell, „neue Namen, neue Bücher und neue Ideen. Als Sennholz sein Studium bei Mises begann, mussten noch zwölf Jahre bis zu Rothbards „Man, Economy, and State“ ins Land gehen – und noch fast ein Vierteljahrhundert bis zu Kirzners „Competition and Entrepreneurship“.“
Nach seiner Dissertation lehrte Sennholz am Grove Gity College, wo er 37 Jahre lang Leiter der ökonomischen Fakultät war. Der Hauptsponsor für das College war der Ölmagnat J. Howard Pew, der auch die Berufung von Sennholz im Jahr 1955 veranlasst hatte. Der presbyterianische Pew war glücklich, dass der Lutheraner Sennholz die Fakultät leitete. Doch wie Mises, so blieb auch Sennholz lange Zeit akademisch isoliert. Der Keynesianismus hat nach dem Zweiten Weltkrieg auf dem ganzen Globus die verheerende Irrlehre verbreitet, man müsse den Staat zum großen Dirigenten der menschlichen Angelegenheiten küren, und nur der Staat könne der kapitalistischen Wirtschaft Stabilität verleihen. Bevor die Austrian School neue Anhänger gewann, war die einzige Widersacherin gegen den Keynesianismus die Chicago School. Aber auch sie war etatistisch. Sie forderte zwar den Abbau der Bürokratie, glaubte aber dennoch an die Notwendigkeit staatlich organisierter Stabilisierungsmethoden.
Neben seiner Lehrtätigkeit (vier Klassen je Semester) verfasste Sennholz unzählige Publikationen (heute zählen wir rund eintausend Artikel und 17 Bücher). Aber im Unterschied zu den üblichen Karrieristen der ökonomischen Wissenschaft, schrieb er nie in Fachjournalen, die – wie Gary North in seinem Sennholz-Nachruf geschrieben hat – „ungelesen bleiben und oft auch unlesbar sind.“ Stattdessen konzentrierte er sich auf allgemein verständliche Schriften für seine Studenten und für ein breiteres Publikum.
Wie Mises, so blieb auch Sennholz den Prinzipien der freien Marktwirtschaft ohne jedes Wenn und Aber treu und widersprach beiden Schulen: den Keynesianern und den Chicago-Boys. Aufbauend auf der Misesschen Erkenntnis von der Unmöglichkeit rationaler kaufmännischer Kalkulation in einer sozialistischen Wirtschaft, verneinte Sennholz die Möglichkeit rationaler und effizienter Eingriffe von staatlichen Planungs- und Lenkungsbehörden in den Markt. Und wie Mises, so lehnte auch Sennholz die Anwendung von Zwang und Gewalt im Wirtschaftsleben ab, hießen sie nun Besteuerung oder Regulierung oder staatliche Falschmünzerei vermittels des betrügerischen Papiergeldes. Er plädierte unermüdlich für die Vertragsfreiheit, für den Goldmünzen-Standard, für die Abschaffung des Zentralbanksystems und für den Abbau des Wohlfahrtsstaates.
Erst um die Mitte der 70er Jahre verbesserte sich die akademische Situation der Austrian Economics, vor allem durch zwei Ereignisse: Zum einen zeigte sich in der Realität, dass die keynesianischen Instrumente untauglich zur Bekämpfung der damals rasant steigenden Arbeitslosigkeit und der ebenfalls ausufernden Preisinflation waren. Zum anderen erhielt der Mises-Schüler aus den Wiener Jahren und herausragende Vertreter der Österreichischen Schule, Friedrich August von Hayek, im Jahr 1974 den Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaft. Von diesem Zeitpunkt an begann eine zaghafte Wiederbelebung der Austrian Economics in der angelsächsischen Welt, die bis heute anhält und – nicht zuletzt dank der Informationsfülle von Autoren wie Hans F. Sennholz – immer weitere Kreise zieht.
Sennholz‘ Eintreten für die freie Marktwirtschaft war nicht nur von der Erkenntnis ihrer durch nichts zu ersetzenden wirtschaftlichen Effizienz und Freiheitspotenz geprägt, sondern hatte auch tiefe Wurzeln in seinen moralischen und religiösen Überzeugungen. Der auf dem Neid basierende Umverteilungsstaat war für ihn zutiefst unmoralisch und gegen die christlichen Gebote gerichtet. In seinem Essay „Three Economic Commandments“ schrieb er: „Grobe Verletzungen der [biblischen] Gebote fordern rasche und schwere Konsequenzen heraus. Der dringliche Ruf nach politischem Zwang erzeugt umgehend gesellschaftliche Konflikte und Streit, was zugleich die politische Macht und Gewalt nährt. Eine neidische Gesellschaft ist eine Konfliktgesellschaft, die viele Verwalter, Regulierer, Richter und Polizisten benötigt; ihre Gefängnisse werden allzeit überfüllt sein.“
Vor 15 Jahren ist anlässlich des damaligen 70. Geburtstags von Hans Sennholz eine Festschrift erschienen, in welcher die geistige Elite der Austrian Economics dem Jubilar ihre Referenz erwiesen hat. Unter den 36 Autoren finden sich so leuchtende Namen wie Gary North, Peter J. Boettke, Richard M. Ebeling, Bettina Bien Graves, Israel M. Kirzner, George Reisman und Mark Skousen. Der Titel der Festschrift lautete: „A Man of Principle“. Genau das trifft den Charakter des Verstorbenen punktgenau: Ein Mann, der die Prinzipien der Freiheit – allen voran die Prinzipien der Unantastbarkeit des Eigentums, der Eigenverantwortlichkeit der Person, sowie der Friedlichkeit und Freiwilligkeit bei allen menschlichen Interaktionen – niemals aufgeweicht oder verbogen hat. Gleichgesinnte erkannte er mit sicherem Blick. In einem seiner zahlreichen Briefe schrieb er mir im Jahr 2003: „In der deutschen Wüste gibt es eine Oase, und das ist das Baader-Fort mit seinen Freunden“. Und in einem Brief aus dem Jahr 2005: „Sie sind der couragierte Gladiator, der den Hasspredigern frontal entgegentritt. Wenn ich in Deutschland leben würde, wäre ich Ihr loyaler Kampfgefährte.“
Die Austrians, wie das Kurzwort für die Vertreter der Österreichischen Schule der Nationalökonomie in der angelsächsischen Welt lautet, haben einen ihrer bedeutendsten Köpfe verloren – und einen ihrer charakterlich edelsten dazu. Hans F. Sennholz: Er ruhe in Frieden.
eigentümlich frei, Nr. 74, August 2007, S. 49f.