Während seines langjährigen USA-Aufenthalts hat Jörg Guido Hülsmann, Professor für Volkswirtschaftslehre (jetzt Universität von Angers, Frankreich) fast nur in Englisch publiziert, zuletzt sein monumentales Werk „Mises: The Last Knight of Liberalism“. Gelegentlich sind jedoch auch deutsche Aufsätze für verschiedene Zeitschriften entstanden. Diese sind nun in einem Sammelband verlegt worden.
„Ordnung und Anarchie“ ist ein faszinierendes Buch. Vereint es doch – in allgemein verständlicher Sprache – grundlegende Bausteine der Theorie und Philosophie der Freiheit mit aktuellen Streiflichtern auf alltagspolitische Themen wie Rentenreform, Gesundheitsreform, Tarifautonomie, Steuern und Staatsschulden (um nur einige zu nennen). Der Autor steht fest, wie kaum ein anderer Denker der Gegenwart, auf dem Boden der Österreichischen Schule der Nationalökonomie sowie des philosophischen Rationalismus und der Katholischen Soziallehre. Letztere nennt er „den atemberaubenden Versuch, Himmel und Erde im menschlichen Handeln zusammenzubringen.“ (S. 8)
Somit ist Hülsmann zugleich der lebende Beweis gegen die ebenso falsche wie weitverbreitete Meinung, der (echte, radikale) Liberalismus sei „werteneutral“ oder gar „nihilistisch“. Ein Liberaler kann Werte wie Familie, Ehe, Ehrlichkeit, Religiosität, Hilfsbereitschaft etc. genauso hoch oder gar höher schätzen als ein Konservativer. Was beide unterscheidet, ist die Tatsache, dass der Liberale diese Werte nicht mittels des Gewaltmonopols des Staates durchgesetzt sehen will, sondern sich – weil er jede Art von Gewalt ablehnt – auf Vorbild und Überzeugungsarbeit beschränkt.
Delikates Gleichgewicht von Autorität und Freiheit
Dass sich wissenschaftliche Analyse und christliche Glaubenshaltung nicht widersprechen müssen, zeigt sich beim Thema Familie („Wie der Staat die Familien zerstört“). Hülsmann schreibt: „Wo die Tugenden (Glaube, Liebe, Hoffnung) bestehen, funktioniert die Familie auch unter ärmlichen Verhältnissen. Wenn sie fehlen, kann kein Geld der Welt sie ersetzen.“ (S. 43) In der Familie herrscht ein „delikates Gleichgewicht von Autorität und Freiheit“. Echte Autorität kann immer nur in Freiheit bestehen, und echte Freiheit ist stets vom Eigentum der anderen – und daher Autorität – begrenzt. Aus dem Werkzeugkasten des Staates beim Zerstörungswerk an der Familie sei hier nur die Schulpflicht genannt: Sie zwingt junge Menschen in den Einflussbereich der sozialistischen und grünen Ideologen, die unsere Schulen und Universitäten unterwandert haben. Und die öffentliche (sozialistische) Finanzierung des Schulbesuchs hat zur künstlichen Verlängerung der Ausbildungszeiten geführt. Berufe, die früher von Angelernten ausgeübt wurden, ziehen heute Magister und Doktoren an – Leute, die der Indoktrinierung besonders lange ausgesetzt waren. „Im Ergebnis zeigt sich eine Entfremdung der Kinder von ihren Eltern und eine immer größere Staatsgläubigkeit.“ (S. 47)
Familienzerfall, Kinderlosigkeit, Abtreibung und staatliche Prämierung des Single-Lebens haben unserem Land eine „Kultur des Todes“ beschert. Besteuerung, Inflation und eine „schamlose Beschränkung des Vertragsrechts“ durch das sogenannte „Familienrecht“ haben die Ehe zu einem „wirtschaftlichen Damoklesschwert“ gemacht. Und auch das sich immer weiter verbreitende Phänomen der alleinerziehenden Mutter fördert den Gesellschaftszerfall. Hülsmann: „Es ist eben eine große Illusion, dass sich die jungen Wilden – und das sind kleine Kinder letztlich – ganz automatisch in Träger und Stützen der Zivilisation verwandeln. Wenn die notwendigen Vorbilder nicht vom Familienvater kommen, so kommen sie von Fernsehen und von der Straße.“ (S. 50f.)
Politische Sklerose
Die ökonomische Analyse der Demokratie ist ein weiterer, tiefe Einblicke gewährender Schnitt auf dem geistigen Seziertisch des Autors. Sie zeigt die derzeitige politische Sklerose in Deutschland und anderswo als „natürliche Folge der politischen Produktion“, die weniger von der Qualität politischer Figuren abhängt als vielmehr von den ewig gültigen Gesetzen der Macht. Was Hülsmann als Remedur anbietet, sind die Zwillingsinstitutionen Naturrecht und Eigentum. In naturrechtlicher Betrachtung lassen sich Rechte aus objektiven Gegebenheiten ableiten. Aus dem (unzweifelhaften) Selbsteigentum (Eigentum eines jeden Menschen an sich selbst) leitet sich zwingend die Institution des Privateigentums ab, was wiederum die objektive Realität individueller Rechte belegt. „Rechtmäßiges Handeln ist dadurch definiert, dass es das Eigentum anderer Menschen respektiert, während bei unrechten Handlungen das Eigentum anderer verletzt wird.“ (S. 14)
Die Existenz natürlicher Rechte ist somit unverzichtbare Grundlage einer freien Gesellschaft. Die entgegengesetzte Annahme (dass es überhaupt kein natürliches Recht gibt) führt zwangsläufig zur Gewalt. „Denn wenn eine Einigung über die objektive Sachlage unmöglich ist, weil eine solche allgemein verbindliche Sachlage gar nicht existiert, dann ist es auch sinnlos, das friedliche Mittel der Argumentation einzusetzen. Jeder sieht dann zu, dass er sich „sein Recht“ gewaltsam verschafft. Nur die Annahme, dass es natürliche Rechte gibt, kann mithin die Grundlage einer freien Gesellschaft bilden – einer rationalen Gesellschaftsordnung, in der dauerhaft friedliches Zusammenleben und Arbeitsteilung möglich sind.“ (S. 17)
Jörg Guido Hülsmann: „Ordnung und Anarchie – Essays über Wirtschaft, Politik und Kultur“, Lichtschlag, Grevenbroich 2007, 142 Seiten, Euro 16,90
aus: „Der Selbständige“, Ausgabe 5/6 2008